Le Grand Concours zum Zweiten

Bardai, 4. März 2016: 27 Mädchen und Jungs, junge Frauen und Männer schreiben konzentriert einen Text. Das Thema des Aufsatzes im Schreibwettbewerb lautete: Was ist eigentlich ein Tubu?

Gar nicht so einfach zu beantworten. Vor allem, wenn man hauptsächlich Tubus kennt und nicht besonders viel von der Welt gesehen hat. Aber irgendwann kam auch noch der Letzte ins Schreiben rein und nach ca. drei Stunden hatten alle ihre Seite vollgeschrieben. Richtig gelesen, drei Stunden für eine Seite! Ich dachte, wir kämen nicht mehr nach Hause an jenem Abend. Aber so ist es, wenn Leute schreiben, die sich das nicht gewohnt sind.

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Vier befreundete Tubus aus Libyen, die ein ähnliches Bildungszentrum haben, kamen extra hierher, um die Aufsätze zu bewerten und um bei der Preisverleihung dabei zu sein und sie zu filmen.

Die Preisverleihung war sehr gut besucht, es gab Reden von verschiedensten Leuten und die obligaten Siegerfotos. Nebst den Concours-Teilnehmenden waren auch deren Freunde, Geschwister und Eltern sowie eine Reihe Würdenträger aus Bardai dabei.

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Alles in allem ein voller Erfolg. Mit einem kleinen Patzer: Im ganzen Rummel ging es unter, die Siegertexte vorzulesen.

Das hat unseren Freunden aus Libyen einfach keine Ruhe gelassen, so dass sie eines morgens in die Schule gingen und dazu aufriefen, am Nachmittag ins Zentrum zu kommen, wo dann die Texte noch vorgelesen werden würden. Zu unserem grossen Erstaunen war das Zentrum gerammelt voll. Es war eine gespannte, ernste Stimmung. Die Sieger lasen ihre Texte vor und anschliessend stellten ihnen die Libyer Fragen zu Sprache und Kultur der Tubus, die sie vor laufender Kamera beantworteten. Nach und nach wurde die Stimmung lockerer. Nach der Interviewrunde hielten die Libyer noch einmal diverse Reden, bis die Runde dann geöffnet wurde und manch einer, beschwingt von der enthusiastischen Atmosphäre, eine spontane Ansprache hielt.

Ehrlich gesagt, wir „Weissen“ waren alle baff. Da waren über 120 Leute freiwillig im Zentrum versammelt und diskutierten gemeinsam über die Wichtigkeit ihrer Sprache und Kultur, sowie über die Notwendigkeit von guter Bildung. Und das alles, ohne dass einer von uns „Weissen“ (in den Augen der Tubus sind wir übrigens rot!) irgendetwas dazu beigetragen oder initiiert hätte.Spontanveranstaltung 1Spontanveranstaltung 2

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Das lässt sich nicht allein dadurch erklären, dass man Bildung doch einfach gut finden muss. Unsere libyschen Freunde vertreten ihr Anliegen mit herzhaftem Enthusiasmus – und mit eindringlichem Ernst. Denn die Lage ist ernst: In Libyen blicken sie einerseits der militärischen Bedrohung und andrerseits der sprachlich-kulturellen Beeinflussung von arabischer Seite und der fundamentalistischen Unterwanderung, direkt ins Auge.

Das Tubugebiet erstreckt sich über die Länder Niger, Tschad und Libyen. In letzterem Land herrscht Bürgerkriegszustand. An der nördlichen Aussengrenze des Tubugebiets (Sebha, Kufra, bis vor kurzem auch in Awbari) finden täglich Kämpfe zwischen Tubus und arabischen Milizen statt, einige der arabischen Milizen unterstützt der IS mit Waffen. Den Tubus ist teilweise der Zutritt zu Universitäten verwehrt, sie haben keine Sitze im sich im Aufbau befindenden Parlament und werden allgemein wegen ihrer dunklen Hautfarbe verachtet. Die libyschen Araber, so berichten unsere Freunde, vertuschen und ändern geschichtliche Ereignisse und stellen die Konflikte in den Medien natürlich sehr einseitig dar. Die Tubus dagegen sind unbekannt, ihre Stimme verhallt ungehört, doch sie sind für eine riesige Region von grösster Wichtigkeit. Sie bilden eine Art Damm zwischen dem arabischen, teilweise extremistischen Einfluss im Norden der Sahara und dem subsaharanischen Afrika. Die Tuareg, eine vergleichbare Volksgruppe in Mali, Niger und Algerien, haben sich leider bereits mit Al Kaida im Maghreb (AQMI) verbündet, Boko Haram wütet in Nigeria, Niger und im Norden des Kameruns, die Regierung im Sudan ist arabisch-nationalistisch. Der Tschad ist in der Region das einzige Land, das (abgesehen von ein paar Anschlägen von Boko Haram in der Tschadseeregion) frei von terroristischen Gruppen ist. Dies einerseits wegen der klaren Haltung des Präsidenten, der auch Truppen seiner starken Armee in andere Länder zur Bekämpfung von Terrorismus schickt (so in Mali gegen AQMI und in Nigeria, Kamerun und Niger gegen Boko Haram). Andererseits weil die Tubus als ein stolzes, freies Kriegervolk militärisch und ideologisch den Damm gegen Norden bilden. Aber wie lange noch?

Bardai, unsere Oase, ist das kulturelle Zentrum der Tubus. Was hier passiert, hat Ausstrahlung auf das ganze Tubugebiet. Darum filmten unsere Freunde aus Libyen die Ereignisse um den Schreibwettbewerb, um ihre Leute in Libyen zu motivieren, ihre Sprache und Identität zu bewahren. Denn der Damm hält nur so lange, wie sie an ihrer sprachlichen und kulturellen Identität festhalten und mit vereinten Kräften den Angriffen standhalten.

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Dieser Eintrag, der eigentlich von einem sehr freudigen Ereignis handelt, ist nun sehr ernst und sogar politisch geworden. Wir versuchen euch den grösseren Kontext zu beschreiben, damit ihr einerseits besser verstehen könnt, weshalb wir so begeistert sind von unserer Arbeit und andererseits, weil die Tubus in der Welt keine Stimme haben. So wollen wir doch immerhin unser feines Blogstimmchen erheben. Voilà. Ihr habt es jetzt gehört!

 

PS: Auch wenn die Lage besonders in Libyen besorgniserregend ist, können wir euch versichern, dass es uns sehr gut geht und wir kurz vor der Ernte unseres letzten Kolleräblis und der ersten Tomaten stehen.

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