Raus mit ihm!

In der Mitte des Raumes steht ein Tisch mit verschiedenem Zahnarztwerkzeug drauf. Der typische Speichelab- oder Zungeneinsaugomat fehlt, sowie auch die halbrunde Lampe, der Bildschirm und der frisch mit Wasser aufgefüllte Plastikbecher. Dafür hat es zu beiden Seiten des Tisches eine wackelige Liege mit jeweils einem Spuckbecken und einer Kartonkiste als Abfalleimer darunter. Beides umsurrt von unzähligen Fliegen.

„Hallo. Lieg hier hin. Welcher Zahn tut dir am meisten weh?“ „Dieser und dieser. Und der da hinten auch.“ „Nein, nur einer. Schau mal wie viele Leute draussen warten. Welcher schmerzt am schlimmsten? Eine Person, ein Zahn.“ „Dieser und dieser. Aber der da hinten auch. Ich kann nicht schlafen in der Nacht.“ „Also. Wir ziehen zwei, weil sie genau neben einander sind. Ok?“ „Ok. Raus damit!“

 

So ungefähr lief ein klassisches Konsultationsgespräch in der improvisierten Zahnarztpraxis in unserer Bibliothek ab.

Immer wieder standen der Zahnarzt aus den USA und ich, seine Assistentin, sprachlos vor einem geöffneten Schlund, in dem es praktisch nur noch schwarze Stummel hat. Ja, da würde es mir auch schwerfallen zu bestimmen, welcher Zahn tatsächlich am meisten schmerzt. Und es ist hart, bei dieser grossen Baustelle nur gerade einen oder in Ausnahmefällen zwei Zähne rauszuziehen. Das lindert den Schmerz höchstens ein bisschen, denn die andern Zähne sind ja immer noch leise, aber stechend schmerzend am Weiterverfaulen. Aber im Anbetracht der Zeit und der wartenden Menschenmasse ist es einfach nicht möglich, mehr zu machen.

Für den Zahnarzt ist das unglaubliche Knochenarbeit! Vor allem, wenn die angefaulte Zahnkrone beim Ausreissen abbricht und dann die Wurzeln ohne Röntgenbild irgendwo im Kieferknochen gefunden werden müssen.

 

„Wenn es schmerzt, kannst du mit deiner Hand ein Zeichen geben“, sagte der Zahnarzt bei jedem Patienten, bevor er mit der Zange dahinterging. Dieser Satz hätte eigentlich vom einheimischen Mitarbeiter jeweils übersetzt werden sollen. Dieser hat das allerdings nur gemacht, wenn man ihn mindestens zwei Mal eindringlich darum bat. Er fand das total überflüssig. Und seine Übersetzung tönte dann jeweils eher so: „Wenn es wirklich unglaublich stark schmerzt, kannst du mit der Hand ein Zeichen geben. Aber es schmerzt nicht! Oder?!“ Und zur Beruhigung eines verängstigten Kindes wurde gesagt: „Wenn du jetzt nicht sofort still liegst, binde ich dich an den Stuhl und dann gibt es eine Spritze in dein Bein, die noch viel mehr weh tut! Hast du gehört! Halt jetzt deinen Mund du Weichling!“

Merke: Ein Tubu kennt KEINEN Schmerz.

6.4._Zahnarzt

Trotz einigen Unglaublichkeiten hat die ganze Sache riesig Spass gemacht! Und wenn ich das nächste Mal selber in der Waagrechten unter einer halbrunden Lampe liege, werde ich bestimmt mit einem kleinen Schauder daran zurückdenken, wie und für was diese Instrumente an anderen Orten hauptsächlich eingesetzt werden müssen. Ausserdem weiss ich den Speichelabsaugomat von jetzt an zu schätzen, denn er erspart einem den extrem unschönen Anblick von diesem Spuckbecken, in dem vom Vorgänger bereits… – ich sags lieber nicht.

Eine Antwort auf „Raus mit ihm!“

  1. Wir verfolgen eure abwechslungsreichen Blog-Beiträge mit grossem Interesse. Ihr versteht es, lebendige Einblicke in euer Erleben widerzugeben und uns hineinzunehmen in eine völlig fremde Kultur. Herzlichen Dank
    Luise und Peter

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