Interview mit unseren Gästen

Vier Besucher haben die beschwerliche Reise zu uns auf sich genommen, und viele von euch haben ihr Gepäck „beschwert“. Allen danken wir ganz herzlich!

Nach gut einer Woche hier haben wir unsere Gäste befragt. Natürlich hat die Tschapdate-Redaktion die Fragen Monate im Voraus ausgebrütet und den Befragten zur Vorbereitung zugestellt. Wie es die Regeln der Kunst erfordern, sind die Antworten anonymisiert. Dabei sollen aber das Geschlecht und die Beziehung zum einen oder anderen Redaktionsmitglied erkennbar bleiben.


Tschapdate:

Was kannst du in drei Sätzen über die Reise sagen?

Dini Muetter:

  1. In erster Linie ist es eine ganz lange Reise durch total verschiedene Wüstenregionen. Wir fuhren jeden Tag zwischen 10 und 12 Stunden und kamen nach gut 3,5 Tagen auf der Oase an.
  2. Auf der Reise haben wir sehr viel erlebt, insbesondere wie unkompliziert man leben und sich ernähren kann.
  3. Wir hatten wenig Platz im Auto (waren vier Sardinen auf der Rückbank), aber durch systematische Stellungswechsel gab es immer für alle ein Plätzchen.

Die 2000 km würde ich wieder machen. Aber man muss wissen, dass man dafür 4 Tage braucht und an seine Grenzen kommt.
Aber: In der Wüste draussen hab ich unglaublich gut geschlafen!

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Tschapdate:
Was für Tiere habt ihr gesehen?

Din Vatter:
Ganz viele Exemplare von meinen Lieblingstieren: Esel! Aber auch Kamele, meine zweitliebsten Tiere. Ausserdem Wüstenkühe (hagere Kühe mit riesigen Hörnern), Ziegen, Schafe, Gazellen, Geckos, Skorpione (also alle ausser ich haben sie gesehen), Kakerlaken, Spinnen, Junichäferli, extrem viele Fliegen, Raben (einiges magerer als bei uns), ein paar schöne Vögel, riesig grosse Hummeln und erstaunlicherweise auch Libellen.

 

Tschapdate:
Du hattest ja Bedenken, dass die Sache mit dem Essen ganz schwierig wird. Wie war es nun?

Mini Muetter:
Grundsätzlich haben wir sehr gut gegessen. Jeden Morgen gab es frisches Brot und ein feines Birchermüesli, dazu Fruchtsaft und Nescafe. Zu den Hauptmahlzeiten wurde uns sogar Gemüse aus dem eigenen Garten serviert! Speziell ist, dass der Reis oder die Nudeln auf eine Platte kommen, die Sauce obendrauf und jeder isst dann mit einem Löffel von seiner Seite her auf die Mitte zu. Das Ganze findet am Boden statt.

Kurz: Wir haben so gut gegessen, dass ich meinen mitgebrachten Röstivorrat nicht antasten musste.
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Tschapdate:

Was war dein bestes Fotosujet?

Min Vatter:
Für jemanden, der gerne fotografiert, ist die Umgebung hier ein Paradies! Die bizarr geformten Felsformationen laden regelrecht zum Fotografieren ein. Dazu kommt das Licht, das morgens sanft und rötlich ist, abends aber durch ein kräftiges Gold das Lavagestein ganz dunkelbraun erscheinen lässt. Es ist einfach extrem malerisch und schön, ausserordentlich faszinierend. Es bieten sich laufend neue Sujets an. Es ist endlos, man könnte wochenlang fotografieren und würde immer noch ein schöneres Sujet finden. Ich habe das Schönste also noch nicht gefunden.

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Tschapdate:

Welche Begegnung beeindruckte dich am meisten?

Dini Muetter:
Die Begegnung mit einer Frau, die wir besuchten.
Die Herzlichkeit dieser Frau war der Hammer und hat mich überwältigt. Gleichzeitig hat mich die Matte, auf welcher ich sitzen sollte, angeekelt.
Diese Frau hat ihr ganzes Haus selber gebaut. Während unseres Besuchs hat sie in der Küche im grössten Rauch ihr Dattelmus gekocht und gleichzeitig noch auf etwa 8 kleine Kinder aufgepasst und das alles in einer unglaublichen Gelassenheit. Es ist schwierig zu erklären. Aber irgendwie hat sie eine besondere Würde ausgestrahlt.

 

Tschapdate:
Was für ungewohnte Geräusche hast du im Tschad gehört?

Min Vatter:

  • Verschiedene Notstrom-Aggregate (Generatoren)
  • Die Laute von Geckos – irgendwie ein spezieller Ruf
  • Meine liebste Geräuschekulisse zu jeder Tages- und Nachtzeit, als Konkurrenz zum Muezzinruf: Die Esel
  • Ein angenehmer Muezzinruf in der Stimmlage von Jonny Cash
  • Der 157x wiederholte Refrain der Tubulieder auf der Reise (wir nannten sie „D’Schlierenerchind“)
  • Unbekannte Wortfetzen der Tubusprache
  • Das dumpfe Geräusch des Mörsers aus den benachbarten Häusern

 

Tschapdate:
Was sind drei Charakteristiken der Tubus?

Min Vatter:
Rein äusserlich fallen sie auf durch ihre Grösse. Sie sind drahtig und dunkelhäutig, vor allem durch den Kontrast zum weissen Turban.
Ich erlebte sie als überraschend freundlich.
Sie strahlen ein Selbstbewusstsein aus und haben Fähigkeiten sich in der Wüste zu bewegen, dort zu leben, sich zu orientieren, die wir als Schweizer definitiv nicht haben.

Sie haben eine besondere, für unsere Ohren lustige Sprache mit einem Klicklaut. (Anm. der Redaktion: Es gibt keine Klicklaute, doch es gibt eine Art Schnalzen, womit der Zuhörer nur eines ausdrückt: Er schnallt’s.) Die Sprache ist nicht melodiös, klingt eher rau und irgendwie hart. Passend zum Klima.

 

Tschapdate:
Welche Tipps und Tricks für den Haushalt hast du entdeckt?

Dini Muetter:
Ich habe gelernt: Sand ist das Wasser der Wüste! Löffel und Pfannen und alles Geschirr wird unterwegs einfach mit Sand abgewaschen. Anfangs war ich schlicht sprachlos! Und dass man auf der Reise den aufgerissenen Nudelpack einfach über dem Feuer wieder verschliessen kann, hat mich auch beeindruckt.
Ich wusste auch nicht, dass man mit einem halben Eimer Wasser duschen und Haare waschen kann.

 

Tschapdate:
Was gefällt dir besonders am Leben auf der Oase und an ihren Bewohnern?

Din Vatter:
Man muss nicht überlegen, ob man die Wäsche draussen oder drinnen aufhängen muss.
Man kann unter dem Sternenhimmel schlafen und dadurch, dass man oft Tierrufe hört, fühlt man sich der Natur sehr nahe.
Die Leute sind extrem vielseitig, können aus allem etwas machen. Jeder kann ein Haus bauen, ein Auto flicken und Ziegen halten.

 

Tschapdate:
Was würde dir am meisten Mühe machen?

Dini Muetter:
Das Leben am Boden würde mir Mühe machen, da ich zu wenig fit bin. Und mit dem Abwaschen mit kaltem Wasser kann ich mich nicht anfreunden. Doch das Schwierigste wäre für mich das Einkaufen.

 

Tschapdate:
Wie muss man sich dieses Zentrum, von dem Simanja immer erzählen, vorstellen?

Min Vatter:
Also das ist ein grösseres Gebäude, in zwei Räume aufgeteilt. Im einen Raum ist eine Bibliothek eingerichtet und es hat Tische und Bänke, eine Wandtafel und ein Kopiergerät. Der andere Raum dient zum Unterrichten.
Was auffällt ist, dass das Zentrum in der Stadt und in der Umgebung bekannt ist und man darüber redet, was dort gerade so läuft. Es scheint einen positiven Einfluss zu haben und zum Lernen zu motivieren. Offenbar entspricht das Zentrum einem Bedürfnis: Die Leute nutzen die Angebote des Zentrums, sind auch bereit für die Kurse zu zahlen.
Wir konnten dabei sein, als der grosse Schreibwettbewerb stattfand. Fast 30 Frauen und Männer haben Geschichten in Tedaga geschrieben und ich war überrascht, mit welcher Disziplin und Ernsthaftigkeit sie sich an diese Aufgabe gemacht haben. Aber auch wie langsam sie vorwärts gekommen sind. Sie brauchten ca. 3 Stunden um ein Blatt voll zu schreiben.

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Tschapdate:

Wie geht’s eurer Enkelin?

Mini Muetter:
Blendend! Alle Bedenken, dass das Kind ohne Spielzeug nicht gefördert werden könnte, sind komplett verfehlt. (Abgesehen davon, dass sie Spielzeug hat …)
Sie lernt so viel hier! Sie wechselt zwischen verschiedenen Kulturen, lernt verschiedene Sprachen, wird motorisch gefördert, usw. Sie ist überall dabei, man kann sie vieles einfach machen lassen, was in der Schweiz so nicht möglich ist. (Die durchlässige Plastikmatte auf dem Sandboden erträgt einfach viel mehr, als ein Spannteppich oder Parkett.) In dieser grossen Freiheit kann sie sehr viel lernen.
Sie wird von den Leuten geliebt, manchmal einfach gepackt und mitgenommen – das hat mich beeindruckt.

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Tschapdate:
Und was wolltest du sonst noch sagen?

Dini Muetter:
Eine Frau sagte heute: „Das ist aber sehr gut, dass ihr den Ort besucht, an dem eure Kinder wohnen!“ Das hat mich gefreut und natürlich auch bestätigt, dass es gut war, diese Reise zu machen.

Mini Muetter:
Mir hat es mega gut gefallen. Aber ich wäre massivst herausgefordert, wenn ich hier leben müsste. Mein Respekt für euch, dass ihr hier lebt, ist eher noch grösser geworden. Ihr habt nicht ein Leben in Entbehrung, aber ihr nehmt viel auf euch, dass ihr hier leben könnt.
Vieles ist unkomplizierter, aber das Leben an sich ist aufwändig. Das ist nicht zu unterschätzen. Dazu kommt ein Stück Einsamkeit, weil man halt fremd ist hier. Mit dem muss man leben können.

Dini Muetter:
Mir gefallen die Häuser. Die sind durchdacht, zweckmässig und schön. Auch wenn es von aussen irgendwie nicht nach etwas aussieht. Erst mit der Zeit realisierte ich, wie schön die eigentlich sind.

Din Vatter:
Mich beeindruckte ganz stark wie sie reagierten, wenn sie herausfanden, dass ich nicht nur irgendein Verwandter, sondern tatsächlich dein Vater bin. Sobald das klar wurde, drückten sie mir die Hand gerade noch einmal. Wie sie die Familie wertschätzen, da könnten wir uns ein Stück davon abschneiden.

Dini Muetter:
Viele Frauen kamen, um uns frisch Angekommene zu begrüssen. Nur gingen sie immer ganz plötzlich und ohne Verabschiedung. Das scheint hier normal zu sein.
Und ich fühlte mich immer willkommen, wenn wir mit dir ein Haus betraten. Meist wurden uns sofort ein Glas Fruchtsaft, Wasser und Dattelmus serviert.

Mini Muetter:
Ohne euch hätten wir keine Chance, uns hier auf der Oase oder in der Hauptstadt zurechtzufinden. Man kann sich nicht einfach bedenkenlos bewegen. Die Freiheit, die wir kennen, gibt es hier nicht.

Min Vatter:
Ich wollte dich und deine Familie besuchen um zu sehen, wie es hier wirklich ist. Es hat mich aufgestellt, dass es euch wirklich gut geht und ich mir keine Sorgen machen muss, ob ihr auch zu essen oder genügend Wasser habt. Obendrauf kam noch diese coole Reise, das Kennenlernen des Zentrums usw.
Das einfache Leben gefällt mir eigentlich. Aber es ist langsam und ineffizient. Doch das gehört irgendwie zum ganzen Leben und wird normal.

Es ist eine Horizonterweiterung, aus der wohlgeordneten Schweiz in einen afrikanischen Wüstenstaat zu wechseln und zu sehen, wie man hier auch leben kann. Zustimmendes Kopfnicken allerseits.
So etwas kann ich jedem empfehlen! Das sprengt einfach die Grenzen.

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2 Antworten auf „Interview mit unseren Gästen“

  1. Genial! Echt toll, dass eure Eltern das Wagnis auf sich genommen haben! Und ganz ehrlich: Eure Heimat zieht mit ihren Schönheiten und Herausforderungen magisch an!! Vielen Dank für die wunderschönen Berichte, die ihr immer wieder schreibt! Sie lassen miterleben und mitfühlen, ja manchmal sogar mithören und -fühlen!

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