Heute haben wir unseren Zügeltag abgezügelt. Also eigentlich ist Streik und alle Beamten, inklusive Lehrer haben die proletarische Pflicht, sich der Arbeitslosigkeit zu widmen. Und es wirkt: die Forderung einer Lohnerhöhung um 100% soll bereits um 20% entsprochen worden sein. Wir arbeiten zwar an einer privaten Schule, doch nachdem bei uns vorgestern bis zur Pause gearbeitet wurde, hiess es, wenn wir weiter arbeiten würden, hätten wir mit fliegenden Steinen zu rechnen. So wurden die lernfreudigen Kinder heimgeschickt und carrément auf Montag vertröstet.
Wir nehmen es dennoch als Zügeltag, denn am Montag können wir aus dem Gästehaus in eine WG mit einem amerikanischen Päärchen ziehen. Wir wissen das erst seit Dienstag, aber da wir die Post nicht umleiten müssen (es gibt immer noch keine Briefkästen und –träger, es bleibt also bei unserer Postfachadresse), das Telefon nicht einen Monat im Voraus abmelden und auch sonst keine Ämter aufsuchen müssen, können wir innert einer Woche gut zügeln.
Diese Wohnung befindet sich in einem tschadischen Gehöft. Klingt romantisch, oder? Ist es auch. Eine sandbedeckte Veranda, in der wir Matten auslegen werden, kochen auf Gas und im Solarofen, weder Tische noch Stühle, geschweige denn Schränke oder dergleichen. Mit anderen Worten: permanentes campieren auf einem Ein-Stern-Zeltplatz mit zuweilen fliessendem Wasser, Plumpsklo und „Wechselstrom“. Wer nach diesen Zeilen immer noch romantische Gefühle hat, sei an dieser Stelle herzlichstens eingeladen, uns heimzusuchen!
Bilder und Vorteile des tschadischen Wohnens folgen in weiteren Artikeln.
Doch zurück zum Zügeltag. Wir haben also den freien Tag genutzt, indem wir auf dem in handwagenschiebnähe gelegenen Markt einige Besorgungen für ein heimeliges Heim machten. Nachdem wir uns bei unseren neuen WG-Gespanen, die das bereits hinter sich haben, über die marktüblichen Preise erkundigt hatten, ging es los. Grussformeln von uns gebend nähern wir uns einem Verkäufer von Haushaltsartikeln um seine Auslage zu begutachten. Da er nicht genug gleichgrosse Becher hatte, und die verschiedenen uns auch noch ein bisschen teuer schienen, zogen wir dankend und abwinkend weiter. Bei seinem Konkurrenten war dann der gewünschte Artikel in genügender Anzahl vorhanden. „waahid be kam? (Wieviel kostet einer?)“ – „tamaniin (achzig)“. Für die nächste halbe Minute sind wir einmal mehr damit beschäftigt, zu rechnen, was das bedeutet. Auf Tschadarabisch werden die Beträge nicht in CFA (zentralafrikanische Francs) angegeben, sondern in „Riyal“, welche 5 CFA entsprechen. (Wie wir noch zu berichten haben aus unserem Bibliothekprojekt, ist lesen nicht jeden Tschaders Sache, aber die Fünferreihe sitzt.) Zurück zum Geschäft! Ähm, also warte mal, das wären 400 CFA, oder? – Genau, aber die sollten für 300 zu haben sein. – Gut, lass uns mal mit „khamsiin (50)“ die Verhandlung starten. – „nantiik khamsiin (ich gebe dir 50, also du weisst schon, ich gebe dir dann schon 250 CFA, aber wir reden ja arabisch)“ – „da buuti (das ist billig)“ – Okay, lass uns das clever angehen! Wir fragen noch, was der Thermoskrug kostet und versuchen dann, das Paket für einen guten Preis unter Dach und Fach zu bringen… So verhandeln wir weiter und schliesslich können Kunde und Verkäufer einander den Handschlag zu einem Preis geben, bei dem alle ihre Ehre bewahren. Gut, dass wir einen Zügeltag haben, denn genug Zeit, um eine Beziehung zu jeden Händler aufzubauen ist essentiell. Der eine bittet uns herein in den Schatten auf sein Bänklein. Während er schnell einen Artikel mit weniger Verhandlungsbedarf verkauft, haben er und wir Zeit, sich nochmals zu überlegen, was als nächstes geboten oder gefordert werden soll. Ein bisschen Schwatzen und die Bemerkung, dass das Moskitonetz, das wir ihm neben der Sitzmatte abkaufen wollen, im Fall „Made in Switzerland“ ist, alles gehört zum Handelsgespräch. Doch neben der aufzubauenden Beziehung, spielen für den Preis noch weitere Faktoren eine Rolle: wie ist sein bisheriges Tagesgeschäft gelaufen? Hat er gerade einen kranken Verwandten, dem er etwas helfen muss (ich bin auch eine Krankenkasse)? Hofft er, uns zu Stammkunden zu machen? Lässt ihn unsere Hautfarbe denken, wir könnten sowieso alles bezahlen oder fühlt er sich geehrt, dass wir bei ihm etwas kaufen?
Aber wieviel ist denn diese Matte wirklich wert? Sie hat keinen fixen Wert. Die Frage ist vielmehr: wieviel ist sie mir hier und heute wert? Und wieviel ist sie dem Verkäufer angesichts seiner aktuellen Markt-, Familien- und Gesamtsituation wert? Und wieviel war sie dem Wert, von dem er sie en gros gekauft hat? Sie hat den Wert, auf den wir uns einigen können. Anders gesagt: Fixpreise gibt es für die meisten Artikel nicht, sie werden ausgehandelt.
Nach und nach haben wir alles gefunden, „erhandelt“ und bezahlt. Hier eine Bodenmatte, dort zwei Matratzen, da zwei Plastikbecken. Auch einen tschadischen „Kühlschrank“ haben wir: Einen Tonkrug, durch dessen poröse Wand Wassertröpfchen dringen. Die Verdunstung und der vorbeistreichende Wind kühlen das Wasser im Krug. Wer hat’s erfunden? Die Schwitzer!
Die zweite Runde um den Markt machen wir mit einem Handwagen inklusive Schieber und sammeln alles auf, um es in unser künftiges Zuhause zu bringen.
Seit Ikea ist Möbel- und Inneneinrichtung einkaufen in Europa eine Freizeitbeschäftigung für regnerische Samstagnachmittage. Hier ist es harte Arbeit an einem sonnigen Freitag Vormittag.