4. Dezember

Fortsetzung des Interviews mit O.: …über seine Vergangenheit als Menschenschmuggler

T: Du hast erwähnt, dass du Menschen geschmuggelt hast. Kannst du uns erzählen wie das läuft?
O: Ja, also die Passagiere kommen auf grossen Lastwagen von Agadez. In Dirkou zahlen sie einen Agenten, der mich dann pro übernommenen Passagier bezahlt. Je nach dem wie viele andere Autos bereit waren zum Fahren habe ich pro Passagier 50 bis 60’000 CFA (100 bis 120 CHF) erhalten. Man nimmt jeweils 23 bis 24 Passagiere. Dann bezahle ich alle „Gebühren“ beim Militär, Sultanat etc. und fahre los durch die Sahara in Richtung Libyen. Wenn ich mich der Grenze nähere, schalte ich die Scheinwerfer ab und versuche unbemerkt zu bleiben. Denn unter Ghaddafi wurde man ins Gefängnis geworfen, wenn man erwischt wurde. 50 km vor der südlichsten Stadt, Al-Gatrun, rufe ich mit dem Satellitentelefon einen Freund an, der mir entgegenkommt und die Passagiere übernimmt. Hier erhalte ich erneut Geld: Er bezahlt mir einerseits 50 Dinar pro Passagier (sind fast 1000 CHF für 23-24 Passagiere) und dazu gibt er mir Benzin für die Rückfahrt und allerlei Nahrungsmittel. Denn er will, dass ich ihm wieder Passagiere bringe.

T: Der Agent kauft dem Schlepper die Passagiere ab?
O: Das ist so. Denn spätestens in Dirkou haben die Passagiere kein Geld mehr. Aber von da an kann man sie verkaufen.

T: Wer kauft sie?
O: In Al-Gatrun verkauft mein Freund die Passagiere weiter an arabische Agenten aus Sabha. Für Nigerianer und so zahlen sie nicht so viel, weil die dann weiter nach Europa wollen. Für Ghanaer und für gewisse Ethnien aus dem Niger zahlen sie viel mehr, denn diese wollen dann in Libyen arbeiten und müssen sich dazu freikaufen. Alle Passagiere werden in Sabha in einem gefängnisähnlichen Innenhof eingepfercht. Und dann müssen sie Geld erbitten von ihren Verwandten in Tripoli oder Europa. Agenten kaufen sie dann, bringen sie nach Tripoli und verkaufen sie dort an die, die Boote haben und sie ihrerseits erpressen.
Ich kann nicht verstehen, weshalb die Leute so viel Geld zahlen um nach Europa zu kommen. Viele sterben zwischen Dirkou und Al-Gatrun. Die Arbeit, die ich damals machte, ist sehr schwierig und gefährlich.

T: Kannst du das etwas erläutern?
O: Es besteht immer die Gefahr, erwischt zu werden und im Gefängnis zu landen. Zwei Mal wurde auch mein Fahrzeug konfisziert. Und das Schwierige ist der Durst, denn es sind sehr viele Passagiere. Ich komme gut mit sehr wenig Wasser aus, aber nicht die Passagiere. Wenn ein Fahrzeug eine Panne hat und nicht genug Wasser da ist, gehen die Passagiere Wasser suchen und sterben. Ich habe das nie erlebt, aber ich habe viele Leichen gesehen unterwegs. Ich hatte immer zwei Fässer Wasser dabei. Aber andere Chauffeure lassen die Passagiere in der Wüste zurück, wenn sie eine Panne haben. Sie sagen, es sollen alle absteigen und schieben und dann fahren sie davon. Wie in einem schlechten Film. Oder sie sagen den Passagieren: „Schaut, Al-Gatrun ist schon ganz nahe, dort sieht man Lichter der Stadt!“ Dann gehen die Passagiere die ganze Nacht zu Fuss und sterben am nächsten Tag bevor sie die Stadt erreichen.

T: Unglaublich! Und du hast zwei Mal dein Fahrzeug verloren.
O: Ja, einmal kam ich danach frei, das andere Mal war ich 6 Monate im Gefängnis. Ich wurde gegen Kaution freigelassen, aber anschliessend kam ich vor Gericht. Nach der Verhandlung, in der ich zu zwei Jahren Haft und einer Million CFA (2000 CHF) Busse verurteilt wurde, sagte der Richter, wir sollten kurz im Innenhof des Gerichts warten. In diesem unbewachten Moment floh ich und fuhr noch am gleichen Tag nach Dirkou zurück.

T: Wann hast du mit dem Schmuggeln aufgehört?
O: Das war 2002. Ich ging nach N’Djaména und arbeite im Sprachprogramm mit. Ich hatte schon in den 90er Jahren in Bardai mit Kandamai (Tubu-Name unseres Teamleiters) gearbeitet. 2008, als im Tschad Rebellen die Hauptstadt angriffen, ging ich wieder nach Dirkou und schmuggelte wieder Menschen. 2009 habe ich damit dann definitiv aufgehört.

T: Was hat dich dazu veranlasst?
O: Ich verdiente zwar viel Geld, doch es war keine gute Arbeit. Entscheidend war Usman Hamid (unser wichtigster Projekt-Partner in Libyen). Er hatte schon lange immer Druck gemacht, ich solle im Sprachprogramm mitarbeiten.Schliesslich folgte ich seinem Rat. Es war wie die Geschichte mit dem Rauchen: In den 90er Jahren, als ich in Bardai neben meinem Militärdienst als Kandamais Sprachhelfer arbeitete, rauchte ich. 1998 fing im Tibesti die Rebellion von Yusuf Togoimi an und Zigaretten wurden sehr teuer. Da fragte ich Kandamai, ob er mir nicht eine Stange mit einem MAF-Flug hochfliegen lassen könne. Nach Tagen erst gab er mir die Antwort, dass er mir alles andere hochfliegen lassen würde, aber für etwas Schlechtes wolle er mir nicht helfen. Ich dachte viel darüber nach. Dass es schlecht ist für den Körper und viel Geld frisst. Eines Tages war der Entschluss gefasst. Ich warf ein halb volles Päckchen weg und rauchte von da an nie mehr. Später einmal sagte ich zu Kandamai: „Du hast mich gerettet mit deinem ‚Nein’.“ Mit Usmans Rat war es ähnlich.

T: Hat sich die Situation mit dem Menschenschmuggel verändert seit du aufgehört hast, insbesondere seit Ghaddafi gefallen ist?
O: Ja, sehr. Unterdessen haben viele aufgehört, Menschen zu schmuggeln, da man damit heute nicht mehr viel verdient. Ich konnte mit einer Reise Dirkou – Al-Gatrun noch fast 2’000’000 CFA (ca. 4000 CHF) verdienen, heute erhält man nicht mal mehr 500’000 CFA (1’000 CHF). Viele schmuggeln deshalb nun Schnaps und Drogen.

T: Jetzt arbeitest du mit ADP (Association pour le Développement et la Paix) für das Sprachprogramm. Warum machst du das? Du könntest anderweitig mehr Geld verdienen.
O: Also erstens dient das der Entwicklung und es hat sich auch schon einiges getan: Früher gab es für die Sprache nicht einmal eine Schrift. Unterdessen interessieren sich alle dafür. Vielleicht wird unsere Sprache, Tudaga, mal eine wichtige Sprache, so wie zum Beispiel „Hausa“ in einer grossen Region Umgangssprache ist.
Zweitens ist unsere Kultur in der Gefahr, verloren zu gehen, zu verschwinden. Dass das nicht passiert, dafür will ich mich einsetzen. Und drittens kennen mich durch diese Arbeit alle Tubus, sogar die in Libyen.

T: Inwiefern ist eure Kultur in Gefahr?
O: Wir sind umgeben von Arabern: von Libyen, Sudan und Algerien kommt ein starker kultureller Einfluss. Sie wollen uns arabisieren, ihre Kultur in unsere „einsäen“. Während Ghaddafis Herrschaft zum Beispiel waren unsere Tubu-Namen nicht zulässig. Wenn man sich bei den Behörden anmelden wollte oder sich fürs Militär rekrutieren lassen wollte, musste man einen arabischen Namen annehmen. Von arabischer Seite geht eine starke Bedrohung aus.

T: Wie würdest du deine Arbeit, deine Aufgabe beschreiben?
O: Ich würde sagen ich bin der Berater von Kandamai. Er fragt nach meiner Meinung zu seinen Ideen und ich bringe auch meine eigenen ein. Dies sowohl im Sprachprogramm als auch in den andern Projekten für die Entwicklung im Gebiet der Tubus.

T: Wie würdest du die Arbeit von ADP beschreiben?
O: Wenn Leute mich fragen, sage ich, dass das humanitäre Arbeit ist. Es ist nicht eine Firma, wir machen das nicht für Geld, sondern um zu helfen. Viele Leute fragen dann, woher das Geld dazu kommt. Ich erkläre dann, dass Familien und Freunde von den Ausländern und auch Kirchen Geld geben für deren Aufenthalt und die Arbeit. Und ich erkläre auch, dass die Ausländer keinen Gewinn daraus haben.

T: Wie würdest du die Ziele von ADP beschreiben?
O: Entwicklung der Sprache und das Denken, die Mentalität der Leute verändern.

T: Was wünschst du dir für die Zukunft des Sprachprojekts? Hast du einen Traum?
O: Ja, ich träume schon seit langem von einem „Grand Concours“ (Schreibwettbewerb in der Sprache der Tubus, erstmals 2012 durchgeführt in Bardai. Anm. d. Redaktion). Bisher haben wir ja nur einen Concours hier in Bardai gemacht, aber ich träume von einem, zu dem alle Tubus von Libyen, Niger und N’Djamena, kurz von überall, hierher nach Bardai kommen.

T: Vielen Dank für das Gespräch!

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