21. Dezember

Ein Lehrmittel für Libyen

Wenn ich darüber nachdenke, ist es echt krass, dass ich heute gerade ein kleines Erklärvideo zu “meinem Lehrmittel” fertigstellt habe. Die vorläufig letzte Handlung für ein Projekt, das nun über 18 Monate gelaufen ist.
Kurz die Geschichte dazu.

Seit einigen Jahren ist es im Süden Libyens erlaubt, ja sogar obligatorisch, drei Wochenlektionen Tedaga-Unterricht zu machen. Der ganze Rest des Unterrichts geschieht auf Arabisch. Schön und gut, dass jetzt ein bisschen Unterricht in der Muttersprache stattfinden soll – aber was genau könnte denn da unterrichtet werden? Ein Tubu – wir nennen ihn den Tubu-Linguisten – hat Lehrmittel für drei Jahre hergestellt. In denen werden hauptsächlich die lateinischen Buchstaben gelehrt, die es fürs Tedaga braucht. Aber dann wusste er nicht mehr so richtig weiter und hat sich an uns gewandt. Ob wir ihm bei der Lehrmittelentwicklung helfen könnten? Konkret, er brauche was für das vierte Schuljahr. Und eigentlich auch bis in die 9. Klasse.  

Da wir uns immer über Initiativen aus der lokalen Bevölkerung freuen, war es klar, dass wir da helfen wollen. Ein bisschen naiv ging ich davon aus, dass ich ein gutes Deutschlehrmittel suche und dann einfach das gleiche auf Tedaga machen werde. Aber ich habe mich getäuscht. Tedaga und Deutsch sind komplett verschiedene Sprachen, mit ganz anderen Problematiken… Also bei Null anfangen. 

Mit viel Rückmeldung von unserem Teamleiter und einem tschadischen Tubu, schafften wir es, ein Buch für ein Schuljahr fertigzustellen. Besonders freuen mich die Gedichte, welche zwei Tubus passend zu den neun Kapiteln geschrieben haben. Wir sandten unseren Vorschlag nach Libyen, wo der Tubu-Linguist mit Begeisterung alles übersetzte, was ich nicht bereits mit einem Tubu aus Deutschland übersetzt hatte. 

Letzten Frühling auf der Oase machten wir dann zwei Testläufe, wo die ersten zwei Kapitel des Buches von jungen Frauen an Kinder unterrichtet wurden. Die Betreuung war intensiv, aber das hat nicht alleine am Lehrmittel gelegen ;-).

Vorbesprechung mit den Lehrerinnen
Unterricht

Beim zweiten Testlauf klappte es tatsächlich, dass der Tubu-Linguist von der Küste Libyens zum ersten Mal auf unsere Oase reisen konnte. Das war ebenfalls das ersten Mal, dass wir ihn persönlich getroffen haben, nachdem wir seit Jahren über Social Media in Kontakt sind.

Zum Kursabschluss ein Spielwettkampf zwischen den Klassen …
… mit lebhafter Beteiligung
Diplomübergabe
Gedicht-Lesung

Diese paar Tage waren toll. Wir konnten das ganze Buch überarbeiten und uns auf einige grammatikalische Regeln einigen. Und dann reiste der Tubu-Linguist wieder ab, mit der Buchdatei auf seinem USB-Stick, bereit für den Druck. 

Er übergab die Datei der Regierung Libyens, welche einen Teil der Bücher in Italien und den anderen Teil in der Türkei drucken liess (warum in zwei verschiedenen Ländern, das weiss wohl niemand). Und letzte Woche, wurden auch der zweite Teil der gedruckten Bücher in den Süden Libyens geliefert! Der Unterricht kann also losgehen! Und damit das Buch möglichst gut verstanden werden kann, habe ich kurzerhand noch einen Lehrerkommentar geschrieben und diesen auch als Video verfasst (ja, auch die Lehrpersonen sind nicht ganz sattelfest im Lesen auf Tedaga…).

Lehrbuch im Süden Libyens angekommen

Ich habe mein Bestes gegeben, doch sehe ich im Nachhinein bereits erste Schwachstellen des Buches. Da es allerdings das einzige 4. Klasse Lehrbuch für Tedaga überhaupt ist, wird es wohl doch das Beste sein ;-).

Auf jeden Fall ist jetzt alles bereit, um auch in der 4. Klasse Tedaga zu unterrichten. Der Sprache des Herzens und der Träume von Tausenden von Kindern im Süden Libyens. 

Und trotzdem ist es noch nicht geschafft. Dieses Jahr wurden zwar die Bücher – wenn auch spät – gedruckt. Besser als im vorletzten Jahr, wo der Bildungsminister das ganze Geld für den Druck der Bücher für sich genommen hat. Ausserdem herrscht im Süden dieses Bürgerkriegslandes im Moment einigermassen Frieden. Auch ein interner Streit der Tubus wurde nach vielen Monaten auf Eis gelegt, und die Verantwortlichen fürs Unterrichten beginnen wieder zusammenzuarbeiten. 

Aber es gibt auch dieses Jahr ein Problem: Das Geld für Löhne für die Tedaga-Lehrpersonen. Eigentlich sollte die Regierung sie bezahlen, doch das funktioniert (noch?) nicht. Eine Gruppe von Tubus ist nun dran, von ihren Leuten Geld zu sammeln, um den Lehrpersonen einen Lohn bezahlen zu können.

Die unglaubliche Menge an Hürden, ein funktionierendes Schulsystem zu haben, macht mich echt sprachlos. 

Ich behaupte nicht, dass hier im Schweizer Schulsystem alles gut läuft. Bei Weitem nicht. Aber im Anbetracht der Situation von Südlibyen oder gar des Tschades, läuft hier tatsächlich vieles sehr gut.

Das macht mich dankbar.

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