Gustav Nachtigal – der erste Europäer im Tibesti – Teil 2

Hier ein weiteres Muster aus Gustav Nachtigall Reisebericht „TIBESTI – Die Entdeckung der Riesenkrater und die Erstdurchquerung des Sudan 1868 bis 1874“

Seite 163 ff

Wenn ich behauptete, die von mit mitgebrachten Geschenke nur in die Hände des Derde (Königs) niederlegen zu können, da dieser am besten wissen müsse, welche die berechtigen Ansprüche der einzelnen Edelleute seien, so antworteten mir die Herren, der Derde sei in Bardai, wohin sie nicht gehen würden, und sie selbst würden am besten ihre eigenen Rechte kennen. Der Mangel an Respekt, mit dem sie bei dieser Gelegenheit ihr Staatsoberhaupt behandelten, erfüllte mich nicht gerade mit besonderem Vertrauen auf den Schutz, den ich von demselben zu erwarten hatte. Wenn ich vorschlug, man möge die Briefe, welche mir der Hadsch Dschaber, dessen berechtigen Einfluss jeder anzuerkennen schien, an den Derde und die Versammlung der Edlen mitgegeben habe, einsehen, so erklärten sie, fremde Briefe zu lesen sei gegen ihre Gewohnheit, und wenn ich, am Ende meiner Geduld, sie aufforderte, aus meinem Gepäck zu nehmen, was ihnen gut und recht dünke, da sie die Gewalt hätten, so antworteten sie mit sittlicher Entrüstung, sie seien keine Räuber.

Nachmittags waren wir schon fast einig über die Auslieferung eines roten Tuchburnus, einer schwarzblauen Sudantobe, einer Maqta Cham und eines Turban, und gegen Abend schienen sie einer Vermehrung dieser Gegenstände um zwei Turbane weichen zu wollen; doch der eifrige Derdedore wusste stets wieder eine feindselige Stimmung zu erzeugen. Endlich, um die Zeit des letzten Gebets, nahmen sie die aufgeführten Gegenstände und dazu zwei Stücke Cham, und damit hatte die ganze Diskussion ihr Ende erreicht.

Der unermüdliche Sprecher Derdedore nahm zwar seinen Anteil an der Erpressung in Cham in Empfang, verteilte ihn aber sofort unter seinen Klienten und Untergebenen. Ehrgeiz war das Motiv dieser Uneigennützigkeit; man sagte, er sei eifersüchtig auf das Ansehen des mächtigen Arami und suche eine ebenso hervorragende Stellung unter seinen Landsleuten zu erringen.

Währenddessen hatten die Erpresser durchaus nicht vergessen, ihre Aufmerksamkeit meinem Mohammes zuzuwenden, und es war ihnen gelungen, während dieser anderthalb Tage eine Lücke in meinen Vorräten zu erzeugen, wie unsere alleinigen Anstrengungen sie nicht in einer Woche hervorzubringen im Stande gewesen wären. Als sie sich zur Abreise rüsteten, versicherten sie mir übrigens ihrer Freundschaft und ihre Hilfe für den Fall, dass ich ihre Wohnsitze im Innern Zuars besuchen würde.

Diese günstige Stimmung meiner mühsam und teuer erworbenen neuen Freunde beschloss ich alsbald auszunutzen… Bevor ich diese Absicht jedoch auszuführen beginnen konnte, unterlag ich in eine neuen Kampfe gegen Gordoi und Galma.

Der erstere, welcher sich gestern so milde und zugänglich gezeigt hatte, kam plötzlich zurück und verlangte, da sein Vorschlag die ganze Erledigung der Angelegenheit bis zur Ankunft in Bardai zu verschieben, nicht durchgedrungen sei, und ich seinen Kollegen ihr „Recht“ ausgezahlt habe, ebenfalls den ihm zukommenden Anteil. Da auch Bu Zeid, der dadurch schon dem Interesse seinen Vetters Galma vorarbeitet, darauf drang, jenen abzufinden, so lieferte ich ihm mit schwerem Herzen einen Burnus, einen Tarbusch und einen Turban-Schal aus, wogegen er sich freiwillig erbot, mich zu grösserer Sicherheit nach Bardai zu begleiten. Damit war ich dem unverschämten Galma ebenfalls verfallen, obgleich dieser als aussergewöhnliches Geschenk schon eine indigogefärbte Sudantobe erhalten hatte. Selbst die Auslieferung ihres Rechtes, ging nicht ohne Schwierigkeiten von statten. Burnus, Tarbusch und Turban wurden mit der Kritik eines raffinierten Kaufmannes untersucht, für jede kleine Stelle Mottenfrass ein Schadenersatz verlangt, die Färbung des Tarbusch oder seine Seidenquaste mangelhaft befunden und der Turbanschal wegen unzureichender Länge beanstandet. Die Unterhandlungen über die kleinsten Gegenstände nahm Stunden in Anspruch.

(…)

Es folgten nun trübe Tage der Sorge, der Langeweile und des Hungers. Mein Zelt war zwischen zwei Felsen aufgeschlagen, welche einen Winkel bildeten, der nicht völlig geschlossen war, so dass gerade ein Mensch die Lücke passieren konnte. Während wir so im Rücken ziemlich gedeckt waren, sammelten sich allmählich vor uns verdächtige Besucher, welche den offenen Bogen des Felsenwinkels allmählich verschlossen und mich moralisch belagerten. Wer edlen Ursprungs war und nicht allzufern von uns hauste, kam herbei unter dem euphemistischen Vorgeben, mich zu begrüssen, in Wahrheit aber, um seinen Anteil am Raube zu haben. Wie die Aasgeier umkreisten sie mich, beanspruchten, von mir ernährt zu werden, drohten und bettelten abwechselnd, kurz, machten meine Existenz zu einer unleidlichen.

Festgebannt an Tao, ohne Kamele, mit gänzlich geschwundenen Mundvorräten, inmitten starrer, nackter Felsen, von Schmarotzern belagert und von Dieben bedroht, lag ich meist trübe gestimmt da und beschäftigte mich automatisch mit Wetterbeobachtungen. Nachmittags suchte ich meiner nächsten Umgebung, die mir einen unüberwindlichen Widerwillen einzuflössen begann, durch kurze Ausflüge in das Felsengebirge zu entgehen, das leider auch nicht gerade geeignet war, mich durch seinen Anblick zu erheitern. Die Nacktheit der Felsen, ihre schwarze Farbe und schroffen Formen, die wilde Einsamkeit des ganzen war nur geeignet, das Gefühl der Verlassenheit und Hilflosigkeit zu erhöhen, und liessen mich finsterer wiederkehren, als ich gegangen war.

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