Junias Sicht der Dinge

Soli. Jetzt weiss ich endlich, was dieser Tschad ist. Immer war davon die Rede, aber ich hab’s einfach nicht so richtig gecheckt. Aber jetzt sind wir also in diesem Tschad. Manchmal denke ich noch an den anderen Tschad, den wo man viel Schokolade und Würste essen kann. In diesem Tschad gibt’s das nämlich nicht.

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Dafür hab ich schon fast vergessen was Socken und Pullover sind, denn so was hab ich schon seit 6 Wochen nicht mehr gesehen, geschweige denn angehabt. Ich kann mich hier sogar ganz alleine anziehen, weil es nur Unzig’s und ein Röckli braucht J.

Dafür gibt es einige Regeln, die ich lernen musste. Am Anfang kamen sie alle aufs Mal, das hat mich genervt. Aber mittlerweile weiss ich’s und es ist gar nicht schwer. Ich darf nämlich auf keinen Fall mit den Schuhen auf die Matte stehen und auch nicht barfuss auf die Matte rennen (sonst haben wir den Sand im Essen). Jedoch darf ich auf keinen Fall ohne Schuhe rausgehen, wenn ich nicht von irgendwelchen Dornen gestochen werden will. Wenn es dunkel wird, muss ich auch Schuhe anziehen, wegen den Skorpionen. Ich habe bis jetzt erst einen lebendigen selber gesehen und den habe ich umgehend getötet. Erst nachher hab ich ihn meinen Eltern gezeigt ;-). Die waren ganz schön geschockt. Aber es war nur ein ganz kleiner, und der hat einfach so böse ausgesehen, dass ich ihn gerade mit einem Stein zerquetscht habe.

Ou, was mich nervt, sind die ewig dreckigen Füsse. Die ganze Zeit muss ich den Dreck zwischen den Zehen rausgrübeln. Auch bei meinem Bruder, obwohl der ja noch gar nicht mobil ist. Aber dann kommt schon wieder eine Regel. Ich sollte nämlich meine Füsse nicht anfassen, vor allem während dem Essen nicht. Aber das ist echt schwierig, weil die Füsse ja neben meinem Teller sind und ich sie deshalb die ganze Zeit sehe!

Und dann hat meine Mam bei meinen Flipflops noch die Gummis abgeschnitten, die hinten bei der Ferse rumgingen. Sie meinte, dass ich sie so schneller an- und ausziehen kann. Das stimmt schon, aber dafür wars echt schwierig, mit denen zu gehen. Mittlerweile kann ichs aber und finds echt cool. Weil meine Mam nun immer Noam trägt, muss ich alles selber laufen. Das ist manchmal ganz schön streng! Ausserdem sind meine Eltern nicht mehr so streng, wenn ich Nasengrüble. Diese Böggen hier bringt man sonst echt nicht raus!

Jeden Abend muss ich kurz Baden. Man glaubt es kaum, aber wenn die Sonne weg ist, finde ich das voll kalt. Obwohl ich vorher den ganzen Tag geschwitzt habe.

Das Schaf, das letztes Mal meine Freundin geworden ist, kennt mich immer noch, obwohl ich es vergessen hatte. Aber es kam direkt auch mich zu und ich kann es noch genau so gut umarmen wie letztes Mal. Das ist schön. Ausserdem hat es viele Hühner, denen renne ich am liebsten hinterher! Aber meine Mam findet das gar nicht cool. Dafür muss ich die Vögel verjagen, die immer ihre Salatsprösslinge fressen wollen.

Wenn meine Eltern auf den Markt gehen, will ich immer mit. Denn fast immer bekomme ich ein Geschenk. Manchmal sogar ganz viele. Meistens so kleine Küchlein oder einen kleinen Fruchtsaft. Oft auch einen Schleckstengel – die mit dem Kaugummi in der Mitte hab ich am liebsten!

Die Kinder hier sind nicht ganz so einfach. Die dürfen Hauen und Steine werfen, weil niemand auf sie aufpasst. Aber ich darf das nicht. Zum Glück sind nicht alle Kinder gleich. Ich muss noch ein bisschen rausfinden, mit welchen man gut spielen kann und welchen man besser aus dem Weg geht. Die Sprache ist mir auch noch fremd. Manchmal hab ich keine Lust, zuzuhören. Aber mittlerweile glaube ich, dass es doch gut wäre, wenn ich ein paar Wörter von diesem sogenannten Tedaga lernen würde. Ganz wenig kann ich schon. Immerhin habe ich einen Tedaga Namen: Wuzaiĩ.

 

Im Moment muss ich gerade „Benzin“ (Medizin) nehmen, weil ich Durchfall habe. Die schmeckt echt grausig. Bin froh, wenn das vorbei ist (meine Eltern auch!).

Ou ja. Was hier auch ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist, ist, dass ich draussen nichts essen darf. Alles was ich mit raus nehme, muss ich mit den Kindern, die mich sehen, teilen. Die wollen auch immer meine Sonnenbrille oder meinen Hut. Auch Spielzeug nehme ich nichts mit nach draussen. Ich brauche eigentlich eh kein Spielzeug hier. Ausser ein paar Büchlein. Sonst finde ich immer selber irgendwas um mich zu beschäftigen oder ich helfe meiner Mutter beim Kochen. Mini-Knoblauch schälen, Maggiwürfel auspacken und im Mörser zu Pulver stampfen (weil die hier munzig und steinhart sind) und Moringablättchen abzupfen sind meine Aufgaben.

Morgens erwache ich immer früh. Ich kann auch nichts dafür, dass ich um 5 Uhr schon die Ziegen und Esel höre. Aber es braucht jeweils sehr viel Überzeugungsarbeit, bis mich meine Eltern endlich aufstehen lassen.

Und deshalb müssen meine Eltern jetzt ins Bett

2 Antworten auf „Junias Sicht der Dinge“

  1. Liebe Junia

    So schön von dir zu hören und Bilder von dir zu sehen! Elin muss sich zwar nicht vor Skorpionen in Acht nehmen – dafür mit Bremsen und Wespen. Schon mehrmals wurde sie gestochen. Dafür gehen wir fast jeden Tag ans Wasser:-)

    Liebe Grüsse aus dem Sonnental!

    PS: Wer macht dir denn solch tolle Frisuren? Das sieht richtig chic aus! Ich wünschte, ich könnte das auch…

  2. Liebe Junia
    danke für den Einblick in Dein Erleben im richtigen Tschad.
    Du hast uns soooviel mitgeteilt. Wie lange musstest Du still sitzen für Deine schöne Frisur und wer hat sie Dir gemacht? Wir wünschen Dir, Noam und Deinen Eltern, dass Ihr gesund bleibt und ich freue mich schon auf den nächsten Eintrag von Dir! Grosi

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