Zum Sonntag, dem Ruhetag:
Jesus sagt: “Kommt alle her zu mir, die ihr müde seid und schwere Lasten tragt, ich will euch Ruhe schenken.”
Die Bibel, Matthäus 11.28

ein Leben als Halbnomaden
Zum Sonntag, dem Ruhetag:
Jesus sagt: “Kommt alle her zu mir, die ihr müde seid und schwere Lasten tragt, ich will euch Ruhe schenken.”
Die Bibel, Matthäus 11.28
Gemütlich sitzen wir beim Z’morgä bei Musik aus dem neu gekauften Radio. Doch anstatt Nachrichten kommt die Ansage, dass Radio France International (RFI) heute streikt und daher nur ein Musikprogramm sendet. Jedenfalls in dieser Hinsicht ist das koloniale Erbe hier noch spürbar. Unbeeinflusst davon kommt hiermit für euch Nummer 3 des Adventsblogenders – mit einer Bitte:
Wer noch alte Mixtapes hat, darf sie uns gerne schicken, wir werden sie entweder selber hören oder wenn sie uns nicht gefallen einem Taxichauffeur verschenken. Wir hören nämlich RFI mit einem richtigen Kassettenrekorder.
„Du schwarz!“ – „Ich weiss!“
Dank Windows dürft ihr jeden Tag ein Fenster im Adventsblogender öffnen. Nach Reisen, Krankheit, Strom- und Internetmangel wollen wir die nächsten 23 Tage etwas fleissiger sein. Das ist ein Vorsatz. Etwas stabiler als ein Neujahrsvorsatz, hoffentlich, aber man kann nie wissen, denn: Chad happens!
Wenn wir schon gerade online sind, nutzen wir das, um euch mitzuteilen, dass ihr uns fehlt. Eine Weihnachtszeit ohne Weihnachtszeit, ohne alle typischen Anzeichen wie Christkindlmarkt Konstanz, Glühwein, Geschichten, Guezli, Kerzen, Kälte, Schlitteln, Stress, Advents- und Kaffeekränzchen, Karten und vor Allem ohne Familie und Freunde, das ist schon ein wenig trist. Dem Ganzen wird ein bisschen Schwere genommen durch den Umstand, dass täglich die Sonne scheint und Nebel inexistent ist. Darum schreiben wir diese Zeilen danke Photovoltaik und freuen uns auf das Brot aus dem Solarofen.
Ja, es ist soweit, wir leben nicht mehr ungezügelt, sondern sind in ein tschadisches Mittelstand-Haus gezogen. Im Folgenden möchten wir auf die Vorzüge der Wohnart in unserem neuen Wohnort hinweisen:
Nie mehr Chromstahlspülbecken polieren – Traum jeder Hausfrau!
Die Waschmaschine kann nicht kaputt gehen, sondern höchstens krank werden.
Nie mehr die Hände an zu heissem Wasser aus dem Wasserhahn verbrennen.
Kein Bedarf, Staubfänger zu kaufen – jedes Objekt (und sogar wir Subjekte, wenn wir irgendwo länger sitzen) können Staub fangen.
Keine Sparwasserhahn-Aufsätze mehr – wenn Wasser kommt, dann sicher nur sparsam.
Nie mehr den Parkettboden bohnern, keine Möbel polieren, keine Fensterscheiben putzen. All das ist nicht vorhanden (mit Ausnahme von zwei handgezimmerten Schemeln à je 2 CHF.)
Das Schlafen auf der Veranda erspart das Öffnen der Fenster um frische Luft zu haben in der Nacht.
Man ist nicht allein für die Kindererziehung zuständig – alle Nachbarn müssen mithelfen, wenn das Kind zu ihnen auf die Veranda rennt.
Es hat nur sehr wenig Elektrosmog. Strom hatten wir bis jetzt keinen – dafür müssen sehr viele Faktoren stimmen: Die bestehende Leitung muss funktionieren, es muss von allen drei Parteien in der Concession und vom Vermieter zusammen im Voraus bezahlt werden (inklusive ausstehende Beträge aus den Monaten vor unserem Einzug), und es muss auch noch gerade Strom fliesen in unser Quartier.
Keine Ausgaben für teure Freizeitbeschäftigungen, leben ist Beschäftigung genug.
Kein Proteinmangel dank Lebewesen in den Vorräten.
Genug Schlaf, da man im Taschenlampenschein nicht so lange durchhält.
Training der Fähigkeit, trotz heterogener Geräuschkulisse schlafen zu können.
Das „Tischputz-Ämtli“ und das „Bodenwisch-Ämtli“ fallen zusammen.
Es muss keine Sandkasten angeschafft werden für die Kinder, sie können einfach im Innenhof spielen.
Beach-Party ist jeden Tag möglich.
Wenn man den Schmutz auf der Veranda unter den Teppich (bzw. die Matte) kehrt, ist er bereits am richtigen Ort.
Haustieren müssen nicht gefüttert werden – sie bleiben auch so dem Haus treu und jagen ihr Essen selber.
Keine Wasserverschwendung zum Spülen der Toilette – plumps und weg!
Kühlschrank enteisen entfällt vom Putzplan.
Man muss nicht jeden Abend alles unters Dach nehmen, damit es nicht vom Regen oder Tau nass wird – einfach nicht bis im Mai, Juni liegen lassen.
Nie mehr Altpapier bündeln – die Zeitungen, die man am häufigsten antrifft, sind alte Nigerianische, die als Verpackungsmaterial verwendet werden, vor Allem seitdem Einweg-Plastiksäcke verboten wurden.
Das Sitzen, Kochen, Essen etc. am Boden und das Aufstehen vom Boden fördert denAufbau bisher vernachlässigter Muskelpartien.
Der Siphon wird nie verstopft, da Abwasser im Innenhof oder im Strassengraben ausgeschüttet werden kann, wo es im Eimerumdrehen verdunstet.
Heute haben wir unseren Zügeltag abgezügelt. Also eigentlich ist Streik und alle Beamten, inklusive Lehrer haben die proletarische Pflicht, sich der Arbeitslosigkeit zu widmen. Und es wirkt: die Forderung einer Lohnerhöhung um 100% soll bereits um 20% entsprochen worden sein. Wir arbeiten zwar an einer privaten Schule, doch nachdem bei uns vorgestern bis zur Pause gearbeitet wurde, hiess es, wenn wir weiter arbeiten würden, hätten wir mit fliegenden Steinen zu rechnen. So wurden die lernfreudigen Kinder heimgeschickt und carrément auf Montag vertröstet.
Wir nehmen es dennoch als Zügeltag, denn am Montag können wir aus dem Gästehaus in eine WG mit einem amerikanischen Päärchen ziehen. Wir wissen das erst seit Dienstag, aber da wir die Post nicht umleiten müssen (es gibt immer noch keine Briefkästen und –träger, es bleibt also bei unserer Postfachadresse), das Telefon nicht einen Monat im Voraus abmelden und auch sonst keine Ämter aufsuchen müssen, können wir innert einer Woche gut zügeln.
Diese Wohnung befindet sich in einem tschadischen Gehöft. Klingt romantisch, oder? Ist es auch. Eine sandbedeckte Veranda, in der wir Matten auslegen werden, kochen auf Gas und im Solarofen, weder Tische noch Stühle, geschweige denn Schränke oder dergleichen. Mit anderen Worten: permanentes campieren auf einem Ein-Stern-Zeltplatz mit zuweilen fliessendem Wasser, Plumpsklo und „Wechselstrom“. Wer nach diesen Zeilen immer noch romantische Gefühle hat, sei an dieser Stelle herzlichstens eingeladen, uns heimzusuchen!
Bilder und Vorteile des tschadischen Wohnens folgen in weiteren Artikeln.
Doch zurück zum Zügeltag. Wir haben also den freien Tag genutzt, indem wir auf dem in handwagenschiebnähe gelegenen Markt einige Besorgungen für ein heimeliges Heim machten. Nachdem wir uns bei unseren neuen WG-Gespanen, die das bereits hinter sich haben, über die marktüblichen Preise erkundigt hatten, ging es los. Grussformeln von uns gebend nähern wir uns einem Verkäufer von Haushaltsartikeln um seine Auslage zu begutachten. Da er nicht genug gleichgrosse Becher hatte, und die verschiedenen uns auch noch ein bisschen teuer schienen, zogen wir dankend und abwinkend weiter. Bei seinem Konkurrenten war dann der gewünschte Artikel in genügender Anzahl vorhanden. „waahid be kam? (Wieviel kostet einer?)“ – „tamaniin (achzig)“. Für die nächste halbe Minute sind wir einmal mehr damit beschäftigt, zu rechnen, was das bedeutet. Auf Tschadarabisch werden die Beträge nicht in CFA (zentralafrikanische Francs) angegeben, sondern in „Riyal“, welche 5 CFA entsprechen. (Wie wir noch zu berichten haben aus unserem Bibliothekprojekt, ist lesen nicht jeden Tschaders Sache, aber die Fünferreihe sitzt.) Zurück zum Geschäft! Ähm, also warte mal, das wären 400 CFA, oder? – Genau, aber die sollten für 300 zu haben sein. – Gut, lass uns mal mit „khamsiin (50)“ die Verhandlung starten. – „nantiik khamsiin (ich gebe dir 50, also du weisst schon, ich gebe dir dann schon 250 CFA, aber wir reden ja arabisch)“ – „da buuti (das ist billig)“ – Okay, lass uns das clever angehen! Wir fragen noch, was der Thermoskrug kostet und versuchen dann, das Paket für einen guten Preis unter Dach und Fach zu bringen… So verhandeln wir weiter und schliesslich können Kunde und Verkäufer einander den Handschlag zu einem Preis geben, bei dem alle ihre Ehre bewahren. Gut, dass wir einen Zügeltag haben, denn genug Zeit, um eine Beziehung zu jeden Händler aufzubauen ist essentiell. Der eine bittet uns herein in den Schatten auf sein Bänklein. Während er schnell einen Artikel mit weniger Verhandlungsbedarf verkauft, haben er und wir Zeit, sich nochmals zu überlegen, was als nächstes geboten oder gefordert werden soll. Ein bisschen Schwatzen und die Bemerkung, dass das Moskitonetz, das wir ihm neben der Sitzmatte abkaufen wollen, im Fall „Made in Switzerland“ ist, alles gehört zum Handelsgespräch. Doch neben der aufzubauenden Beziehung, spielen für den Preis noch weitere Faktoren eine Rolle: wie ist sein bisheriges Tagesgeschäft gelaufen? Hat er gerade einen kranken Verwandten, dem er etwas helfen muss (ich bin auch eine Krankenkasse)? Hofft er, uns zu Stammkunden zu machen? Lässt ihn unsere Hautfarbe denken, wir könnten sowieso alles bezahlen oder fühlt er sich geehrt, dass wir bei ihm etwas kaufen?
Aber wieviel ist denn diese Matte wirklich wert? Sie hat keinen fixen Wert. Die Frage ist vielmehr: wieviel ist sie mir hier und heute wert? Und wieviel ist sie dem Verkäufer angesichts seiner aktuellen Markt-, Familien- und Gesamtsituation wert? Und wieviel war sie dem Wert, von dem er sie en gros gekauft hat? Sie hat den Wert, auf den wir uns einigen können. Anders gesagt: Fixpreise gibt es für die meisten Artikel nicht, sie werden ausgehandelt.
Nach und nach haben wir alles gefunden, „erhandelt“ und bezahlt. Hier eine Bodenmatte, dort zwei Matratzen, da zwei Plastikbecken. Auch einen tschadischen „Kühlschrank“ haben wir: Einen Tonkrug, durch dessen poröse Wand Wassertröpfchen dringen. Die Verdunstung und der vorbeistreichende Wind kühlen das Wasser im Krug. Wer hat’s erfunden? Die Schwitzer!
Die zweite Runde um den Markt machen wir mit einem Handwagen inklusive Schieber und sammeln alles auf, um es in unser künftiges Zuhause zu bringen.

Seit Ikea ist Möbel- und Inneneinrichtung einkaufen in Europa eine Freizeitbeschäftigung für regnerische Samstagnachmittage. Hier ist es harte Arbeit an einem sonnigen Freitag Vormittag.
Nach dem ersten Weckruf aus dem Lautsprecher vom Turm nebenan drehen wir uns nochmals um und stehen dann mit der Sonne um 6.00 Uhr auf. Während Simon jeden Tag Baguettes beim Lebensmittelhändler unseres Vertrauens holt, knetet Anja einen Brotteig, um ihm diesen Gang die nächsten Tage zu ersparen. Manchmal geht es länger, wenn gerade Tee angeboten wird, ein paar Brocken arabische Konversation sind natürlich inklusiv. Weil der Mensch nicht vom Brot allein lebt, lassen wir dem Frühstück eine Motivationslektüre folgen. Vor dem Abmarsch stellen wir den Solarofen so auf, dass er um 10.00 Uhr schön bestrahlt wird und legen den Brotteig hinein.

45 Minuten vor Schulbeginn stellen wir uns vor die Tür unserer Concession. Dank (?) der Umleitung führt eine Hauptachse direkt an dieser vorbei und wir versuchen ein Taxi zu finden, das uns an den Stadtrand fährt. Da die Umleitung nicht geteert und die Luftmittlerweile 0% Feuchtigkeit enthält, begrüssen wir die Strassenbewässerungstankfahrzeuge trotz offener Scheiben. Mit einem „Estopp“ bringen wir das Taxi zum Halten und bezahlen. Unsere Estrategien um zu Münz zu kommen, werden immer ausgeklügelter. Mit ein bisschen Esport bewegen wir uns zum nächsten Taxi-Parkplatz und fahren zur Stadt raus.
Am Stadtrand beginnt das Land. Kamel-, Rinder- und Schafherden von Nomaden begleitet, begegnen uns. Weide und Markt überschneiden sich: Wollen du und dein Freund je ein Schaf für das bald beginnende Tabaski-Fest (iid al-kabiir), so fahrt mit dem Motorrad zur nächsten vorbeiziehenden Schafherde und wählt ein Tier, dessen Fettgehalt eurem Gehalt entspricht. Vorder- und Hinterbeine müssen nun zusammengebunden werden, damit sich die beiden zwischen euch auf dem Motorrad schön ruhig verhalten. Auf geht’s zurück in die Stadt, wo die Tiere bis zum Fest lebendig gelagert werden (das englische Wort für Haus-/Zuchttier, “livestock” erhält eine ganz wörtliche Konnotation). Falls ihr kein Motorrad habt, bietet sich auch der Kofferraum eines Taxis als Transportort an.

Vor lauter guten Ratschlägen verpassen wir fast unseren „Estopp“. Von hier gehen wir den Rest zu Fuss bis zur Schule. Dem was dann geschieht, widmen wir ein ander Mal einen Artikel.

Rückweg = gewniH. Ausser dass wir noch einen Abstecher zur Post machen, um unser Postfach zu leeren. Leider wird auf der Post seit zwei Wochen gestreikt, doch der nette Angestellte vom Büro nebenan hilft uns unkompliziert weiter. Vor der Haustür kaufen wir frittierte Süsskartoffelschnitze fürs Mittagessen und nehmen drinnen angekommen das Brot aus dem Sonnenofen.
Nach dem Mittagessen gönnen wir uns eine Siesta (obligatorisch um unseren angesichts der Kultur-, Sprach-, und Temperaturanpassung gesteigerten Schlafbedarf zu decken). Schon trudeln die Anjas lernfreudige Arabischkursgenossinnen ein und Simon widmet sich den Phänomenen der Ubi-Sprache.
Um 17.00 Uhr verabschiedet sich der Arabisch-Lehrer und wir starten einen ersten Versuch, die Mails zu checken. Falls noch Energie und Tageslicht vorhanden sind, spannen wir die Slackline im Innenhof und fördern bis zum Eindunkeln um 18.00 Uhr das Gleichgewichtsgefühl von drei bis zehn Kindern.
Duschen, Abendessen, Labtop laden, zweiter Versuch die Mails zu checken, dies und das, Kleider für den nächsten Tag waschen, aufhängen und noch ein bisschen abhängen. Die Bettzeit (zwischen 21 und 22.00 Uhr!) kommt bald, denn sonst kommt der Morgen zu schnell.