21. Dezember
Damit hatten wir nicht gerechnet: Dass wir einmal Tubus ihre Sprache unterrichten. Nun gut, zum Glück für alle Lernwilligen, sind es auch nicht wir selbst, die in diesen Kursen unterrichten. Wäre doch schade wenn sie unser unbeholfenes Dazaga mit Thurgauer Akzent lernen. Doch seit das Zentrum Palmeraie in N’Djamena besteht, ist das der gefragteste Kurs: “Dazaga oral”. Dazaga sprechen lernen. Ein Muttersprachler unterrichtet diesen Kurs, es kommen immer eine Handvoll Leute und noch bevor ein Kurs fertig ist, sammeln sich wieder Interessenten auf der Warteliste für den nächsten. Es ist unglaublich. Und jedes Mal wenn wir einen neuen Kurs auf Facebook und TikTok posten, fragen Tubus aus dem Tschad und der ganzen Welt in den Kommentaren nach einem Kurs über Distanz, einem Online-Kurs.
Wir konzentrieren uns eigentlich auf die geschriebene Sprache, darauf den Tubus ihr Alphabet näherzubringen, die Sprache zu wertschätzen und nutzen. Wir machen Bücher, Videos und Apps. Ganz selbstverständlich gedacht für die, die ihre Sprache sprechen. Doch da sind offensichtlich in N’Djamena, anderen Städten und im Ausland viele Tubus, die ihre Muttersprache eben nicht mehr mitbekommen haben. Weil die Eltern fanden, dass diese ja altmodisch und nutzlos ist. Braucht man nicht in der Stadt, nur noch in den rückständigen Provinzen. Wir haben schon oft beobachtet, wie viele mit ihren Kindern Arabisch oder Französisch sprechen. “Damit etwas aus ihren Kindern wird.” (Womit sie sagen: “Mit der Tubu-Sprache wird man nichts.”) Genau so, im Kontakt mit dominierenden Sprachen, gehen Sprachen langsam verloren. Das ist ein globales Phänomen. Nennt sich Sprachtod.
Allein in den letzten 500 Jahren sind etwa die Hälfte der bekannten Sprachen der Welt ausgestorben. 1
Doch bei den Tubus scheint sich ein Gegentrend zu entwickeln. Tubus wollen ihre Sprache zurück. Bevor es zu spät ist. Das nennt sich Sprachrevitalisierung. Wiederbelebung. Revival. Das ist selten. Und gut. Denn wenn eine Sprache erst einmal tot ist, gelingt das Wiederbeleben in den seltensten Fällen. Ein paar Beispiele: Walisisch, Kornisch und Manx (Isle of Man) in Grossbritannien sowie Iwrit. Iwrit ist die bisher einzige gelungene Wiederbelebung einer “toten” Sprache. Hebräisch, das nur als Liturgiesprache existierte, wurde wiederbelebt und ist heute die Amtssprache in Israel.
Die Sprache der Tubus lebt. Und da sind viele, die sich nicht damit abzufinden wollen, dass halt ihre Eltern ihnen die Muttersprache nicht weitergegeben haben. Sie wollen diese wieder lernen. Dieses Bedürfnis wollen wir ernst nehmen. Ideen für einen Onlinekurs sind in Entwicklung.
- (Sasse, Hans-Jürgen 1990: Theory of language death und Language decay and contact-induced change) ↩︎
