Concours Tudaga 2017 – wir staunen

Wir haben es ja schon mehrmals erlebt. Seit 2012 führen wir Tubu-Schreibwettbewerbe durch. Und doch staunen wir jedes Jahr wieder. Denn auch in unseren Ohren klingt es unwahrscheinlich, dass 18 Mädchen und junge Frauen sowie 3 Jungs während 6 Wochen jeden Freitag- und Samstagnachmittag Rechtschreibung büffeln. Doch das haben sie gemacht, und zwar mit ausserordentlichem Ernst und Eifer. Denn sie wollen das saftige Preisgeld gewinnen. Es gibt nicht für alle einen Preis, aber gewinnen tun alle. Das zeigt ausgerechnet die Geschichte der Siegerin.

Die unscheinbare junge Frau wurde in Libyen gross, ging dort zur Schule, auf Arabisch, versteht sich. Als Teenager kam sie dann nach Bardai. Gegen ihren Willen. Welcher Teenie will schon aus der modernen südlibyschen Stadt in die rückständige Oase hinter den sieben Bergen? Damit nicht genug: Weil sie weder die Unterrichtssprache Französisch noch das lateinische Alphabet beherrscht, muss sie hier in der ersten Klasse beginnen, um weiter zur Schule gehen zu können. Gleichzeitig gibt sie dank ihren guten Arabisch-Kenntnissen Koranschule für Kinder.

Als Favorit stieg sie definitiv nicht in den Lese- und Schreibkurs ein, der dem Schreibwettbewerb vorangeht. Das lateinischen Alphabet ist ihr auch nach ein paar Jahren Primarschule noch nicht geläufig. Doch in diesem Kurs ändert sich das. Erstmals liest sie Worte und Sätze, die sie versteht. Die Zeichen entschlüsseln sich. Davon beflügelt arbeitet sie hart, brütet über den Hausaufgaben. Und sie teilt diesen Gewinn, ihre Freude am Lesen in der Muttersprache, indem sie ihren Neffen und Nichten kleine Geschichten vorliest, aus Büchlein, die sie auf unserer Homepage fand. Und plötzlich kann sie auch schreiben. Sie, die auf Französisch immer noch kaum einen Satz zu Stande bringt, schrieb in ihrer Muttersprache einen Aufsatz, eine gute A4 Seite Text. Es bleibt nicht bei diesem Gewinn. Ihr Text wird zum Siegertext. Aber was hat sie denn geschrieben?

Die dieses Jahr zu erörternde Frage drehte sich auch wieder um die Sprache und Kultur der Tubus. Es war der Vorschlag unserer einheimischen Mitarbeiter: „Warum geben die Tubus heute ihren Kindern nicht mehr Tubu-Namen, sondern solche aus anderen Sprachen; warum praktizieren die Frauen nicht mehr die traditionellen Gesänge und Tänze? Wie findest du diese Entwicklung?“

Die Antwort der Siegerin ist eindeutig: A zondu. Yunu a budi zondu! „Das ist schlecht. Das ist sehr schlecht.“ Das sagt die auf Arabisch geschulte Koranlehrerin. Dann schreibt sie, die selbst in Libyen aufwuchs, wie sie sich diese Entwicklung erklärt: Die Tubus im Tibesti orientieren sich an den Tubus in Libyen, die sich wiederum an den dortigen Arabern orientieren. Und sie weiss, was auf dem Spiel steht: „Wenn wir unsere Traditionen wegschmeissen, was bleibt uns dann noch?“, fragt sie rhetorisch. Sie schliesst ihren Text ab mit einem Appell: „Tubus, wo auch immer ihr wohnt – in Libyen, Niger oder Tschad – schmeisst eure Kultur nicht weg, nehmt keine andere an! Ihr seid Tubus!“

Der Schreibwettbewerb ist fertig, doch ihre Geschichte geht weiter. Jetzt ist sie dran, ein Stopmotion-Film in Tedaga zu machen. Sie hat eine kleine Geschichte im Kopf, die sie gerne so darstellen und erzählen will.

Die Geschichte dieser jungen Frau ist für uns eine grosse Ermutigung. Sie zeigt, dass es möglich ist. Die junge Frau hat nämlich plötzlich erkannt, welche Ausdrucksmöglichkeiten sie in ihrer Muttersprache hat und sie ist begeistert davon. So begeistert, dass sie das Lesen in der Muttersprache als eine Selbstverständlichkeit ihren Nichten und Neffen weitergibt. Und so begeistert, dass sie plötzlich eigene Ideen ausdrucken, darstellen und verbreiten will. Obwohl sie selber lange Zeit mehr Arabisch als Tedaga gesprochen hat, sind wir sicher, dass sie mit ihren zukünftigen Kindern Tedaga sprechen wird. Das ist das entscheidende Glied in der Kette damit die Sprache der Tubus, und damit ihre kulturelle Identität, weiterlebt.

PS: Schon seit vielen Jahren bekam in Bardai kein Kind mehr einen Tubunamen. Es gibt nur noch arabische Namen (denn Gerüchte sagen, dass Leute ohne arabischen Namen nicht ins Paradies kommen). Bis letzte Woche ein Mann – er sass auch in der Jury, die die Aufsätze bewertete – seinem Baby einen waschechten Tubunamen gab.

Wow.

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